
AVARD Methode: Ängste-Kopfkino mit Soundtrack auflösen
8 Minuten Lesedauer.
In diesem Blogbeitrag präsentiere ich dir einen Gastbeitrag von meinem Berufskollegen Günter Häfner zu einem aktuellen Thema, welches sicher viele Menschen unter uns betrifft.
Das Ängste - Kopfkino und wie man es mit der neuen AVARD Methode auflöst:
Ängste - Kopfkino mit SOUNDTRACK auflösen
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Multimediales Coaching sorgt für die richtige emotionale Betriebstemperatur. Das hilft, hinderliche Ängste aufzulösen. Die Autoren nennen ihr Vorgehen AVARD-Coaching.
Eine Klientin, nennen wir sie Rebecca, Anfang 20, kam zu uns, weil sie ihre Angst vor dem Fliegen ablegen und ohne Panikattacken im Fahrstuhl und mit der U-Bahn fahren wollte. Wir führten mit ihr ein umfassendes Vorgespräch, in dem wir den Auftrag klärten, das Ziel definierten, Ressourcen aktivierten und noch einige Vorbereitungen für die Multimedia-Sitzung besprachen, mit denen wir arbeiten; dazu gehört der Soundtrack.
Ablauf einer Einspielung
Jetzt sitzt sie in unserem Studio, umgeben von 12 Lautsprechern. Einer von uns sorgt im Hintergrund dafür, dass die Technik reibungslos funktioniert und behält den Monitor im Blick, der den Puls der Klientin zeigt. Der andere setzt sich neben Rebecca, spricht kurz mit ihr und bittet sie dann, die Situation, in der die Angst erstmals auftrat, vor ihrem geistigen Auge auf eine Glasscheibe zu projizieren. Der speziell für Rebecca vorbereitete Soundtrack setzt ein. Düstere, fast bedrohliche Musik, unangenehme Klänge und Stimmen im Hintergrund schallen aus den Lautsprechern. Auf dem Biofeedback-Monitor sehen wir, wie Rebeccas Puls steigt. Ihr Atem wird flacher. Sie wirkt zunehmend unruhig. Die Anspannung in Armen und Beinen steigt, als wollte sie gleich aufspringen.
Im Soundtrack hören wir, wie eine Glasscheibe zerspringt. Rebecca zuckt zusammen. Der Sound wird immer nerviger.
Der Separator
Plötzlich setzt das Turbinengeheule eines Flugzeugs ein, es scheint direkt über uns zu fliegen – und nach hinten zu entschwinden.
Dann hören wir schwere Stahltüren krachend ins Schloss fallen.
Für einen Moment - Stille. Vogelgezwitscher füllt den Raum.
Rebecca entspannt sich sichtlich, der Puls geht zurück, ihr Atem wird tiefer. Musik erklingt, es ist einer von Rebeccas Lieblingssongs. Sie lächelt. Über den rhythmischen Sound legen sich wichtige Sätze aus ihrem Leben und positive Botschaften, die wir während des Vorgesprächs mit unserer Klientin aufgenommen haben. Nach einigen Minuten endet der Soundtrack.
Ein abschließendes Coachinggespräch hilft Rebecca, das Erlebte zu sortieren. Zudem besprechen wir mit ihr die möglichen nächsten Schritte.
Erklärung
Der Multimedia-Part hat ca. acht Minuten gedauert, die unangenehme Phase am Anfang war nach 90 Sekunden vorüber. Rebecca und alle Klienten, mit denen wir bisher gearbeitet haben, bestätigten hinterher, dass diese unangenehme Phase wie im Flug verging. Der Separator – das Flugzeuggeräusch – bringt symbolisch alles Negative nach hinten, wo es sicher hinter den zuschlagenden Stahltüren verwahrt wird. Den Musik-Teil nach dem Separator erhalten die Klienten als Sounddatei auf einem USB-Stick, mit der Empfehlung, ihn sich bei Bedarf zur Verstärkung der Wirkung anzuhören.
Noch am selben Tag ist Rebecca übrigens U-Bahn gefahren – zum ersten Mal seit zehn Jahren.
Einige Monate später flog sie nach New York, um eine Freundin zu besuchen. Und das nach insgesamt nur drei Stunden AVARD-Coaching.
Wie geschildert verläuft so eine typische Sitzung nach der von uns entwickelten AVARD-Methode. AVARD steht für „Audio-Visual Anxiety Reprocessing and Desensitization“.
Unterstützt durch audiovisuelle Medien, insbesondere durch individuell ausgewählte Musik-, Sprach- und Videoclips, bearbeitet das AVARD-Coaching die Angst (Anxiety) in der Vorstellung mit hoher emotionaler Intensität und überführt sie in ein Gefühl von selbstwirksamer Handlungssicherheit (Reprocessing). Dies senkt die Angstschwelle und führt zu einer Desensibilisierung (Desensitization)
gegenüber der angsterzeugenden Situation. Während die Sitzung mit Rebecca vorwiegend auditiver Natur war, nutzen wir für eher visuell orientierte Klienten zusätzlich visuelle Elemente, inzwischen auch sehr realitätsnah in 3-D.
Technische Umsetzung
Ein wesentlicher Bestandteil unserer Methode ist die Arbeit mit Submodalitäten: So fragen wir beim Erstgespräch genau ab aus welcher Richtung eine bestimmte negative Botschaft kommt und in welcher Lautstärke. Mit unserem Audio-Equipment im Studio können wir die entsprechende Tondatei während der Multimedia-Sitzung präzise über einen der zwölf Lautsprecher so einspielen, dass sie genau die passende Wirkung erzielt. Gerade Klienten, die sich schwer damit tun, sich bestimmte Klänge vorzustellen, hilft es das Erleben zu intensivieren, wenn sie diese Klänge live hören.
Wissenschaftliche Begleitung
Die Münchner Medizinerin Helene von Bibra führte 2012 eine Studie mit 14 Personen durch, die mit verschiedenen Angstbeschwerden zu uns kamen (Höhenangst, Prüfungsangst, Flugangst etc.) und die wir mit der AVARD-Methode durchführten. Drei bis sechs Monate nach der Sitzung wurden die Klienten Verlaufskontrollen unterzogen. Das Fazit der Forscherin: „Zusammenfassend hat die neu entwickelte AVARD-Methode bei allen 14 Personen mit unterschiedlichen Angstkomplexen zur sofortigen und mittelfristigen Verbesserung geführt und dabei in der großen Mehrheit der Fälle zu einem ausgezeichneten Ergebnis.“
Wie wir aus der Hirnforschung wissen, kommt es nur dann zu dauerhaften Veränderungen im limbischen System, wenn eine Lernerfahrung von intensiven Emotionen begleitet ist. Damit eine neue Lernerfahrung stabil und auch im Alltag verfügbar bleibt, muss es auf physischer Ebene in den Nervennetzen des limbischen
Systems zu Neuverdrahtungen kommen. Deshalb gehören die 90 „nervenden“ Sekunden an den Anfang der Multimedia-Sitzung. Die biochemischen Prozesse, die zur Stabilisierung der Lernerfahrung notwendig sind, kommen nach Vorstellung der Hirnforschung dann in Gang, wenn durch emotionale Aktivierung die Nervenbotenstoffe Noradrenalin und Dopamin vermehrt ausgeschüttet werden. Die dazu erforderliche emotionale Intensität lässt sich durch einfache Imagination nur schwer erreichen. Für die erforderliche „Betriebstemperatur“ im Nervensystem nutzen wir die beim Erstgespräch individuell ausgewählte Musik. Unsere Soundanlage und der Bodyshaker-Stuhl, der Vibrationen überträgt, sorgen bei der Imaginationsübung für ein realitätsnahes und intensives Erleben. Für die angstauslösende Situation nutzen wir dunkle und eher disharmonische Stücke, die das negative Affekterleben durch Aktivierung der Amygdala, also der Angstzentrale in unserem Gehirn, verstärken. Ebenso klären wir sowohl negative als auch bestärkende Botschaften und Geräusche von emotionaler Wirkung für den Klienten. Bei Rebecca war es unter anderem ein Song mit der Zeile „Baby, bitte mach dir nie mehr Sorgen“.
Aus lernphysiologischer Sicht ist die Phase der Problemaktualisierung von hoher Bedeutung. Unser Gehirn lernt, indem es die Verknüpfungen in den neuronalen Netzwerken umformt. Dies ist vor allem durch Anknüpfen an die vorhandene Netzwerkstruktur möglich. Und dazu stellt das Angsterleben eine wichtige Brückenfunktion dar. Außerdem kommt es durch das intensive Erleben der Problemsituation zu einer aufsteigenden Aktivierung des gesamten Gehirns. Ein wichtiger Botenstoff ist hierbei das Noradrenalin, es versetzt das Gehirn in einen wachen und aufnahmebereiten Zustand und aktiviert den Thalamus. Der Thalamus fungiert als Tor zum Bewusstsein: Er filtert sensorische Informationen aus bzw. leitet sie an bewusstseinsfähige Hirnareale weiter. Zudem ist Noradrenalin einer der Botenstoffe, die Inhalte aus dem Kurzzeitgedächtnis in dauerhafte Speicherbereiche übertragen können, also dauerhafte neuroplastische Veränderungen ermöglichen.
Nach dem akustisch markierten Übergang erlebt der Klient, unterstützt durch den Soundtrack und den Coach in der zweiten Phase, die Bewältigung der angstbesetzten Situation.
Als Separator nutzen wir häufig das Geräusch eines vorbeifliegenden Flugzeugs, was sogar bei Klienten mit Flugangst spürbar zu einer Entspannung und einem Rückgang des hohen Pulses führt. In der zweiten Phase greift die angstlösende Wirkung der Musik und der bestärkenden Botschaften.
Zugleich bewirkt die zunehmende Lösungserwartung eine Aktivierung des Motivations- und Belohnungssystems, was das Gehirn auf das Erlernen neuer, wünschenswerter Handlungsstrategien einstellt.
Anwendung
Wir haben AVARD ursprünglich als wirkungsvolles Mittel gegen Ängste und Traumata entwickelt. Die Methode ist gedacht für Opfer von Unfällen, Katastrophen oder Verbrechen, ebenso für Polizeibeamte und Rettungskräfte. Es ist eine für den Klienten schonende Methode. Sie hat den Vorteil, dass der Klient die angstauslösenden Vorgänge nicht detailliert schildern muss. Die Methode eignet sich daher auch gut für sicherheitsrelevante Vorgänge, etwa bei der Behandlung von Soldaten, da wir die Einsatzhintergründe nicht kennen müssen. Inzwischen setzen wir unsere Methode auch zur Behandlung weniger dramatischer Ängste ein, etwa bei Lampenfieber, sowie bei emotional belastenden Situationen, unter denen etwa Burnout-Patienten leiden.
Wir nutzen die Methode in der Zusammenarbeit mit Sport-Coaches, dabei experimentieren wir auch mit 3-D-Videos, die beim Modellieren von Bewegungsabläufen helfen und spiegelneuronales Imitationslernen unterstützen. Wir stellen unser Wissen, unsere Technik gerne anderen Coaches und Therapeuten zur Verfügung.
Kontakt ++ Häfner Günter ++ WiM@gh-c.de
© Hans-Jörg Lübcke